40 Jahre BBV: Blutenburger Projekttag mit der Grandlschule

NACHGELESEN: (Artikel Dr. Peter Igl)

Es ist Mittwoch, der 15. Oktober, 8.45 Uhr. In Haus B der neuen Schulcontainer­anlage an der Grandlstraße haben sich knapp 130 Drittklässler versammelt. Aufgeregte Kinderstimmen erfüllen den Raum. Rektorin Gabriele Kerler sorgt für Ruhe und gibt einen Überblick über den Ablauf des Tages. Andreas Ellmaier, der Vorsitzende des Blutenburgvereins, stellt die Leiter der drei Themengruppen vor und verteilt die Mützen, die das Umweltministerium zur Verfügung gestellt hat, an die Kinder. Die Einteilung der Gruppen war vorher schon von der Schule vorgenommen worden, wobei jedes Kind nur jeweils eine Gruppe besuchen konnte. Dann machen sich die Gruppen, die zusätzlich noch von Lehrkräften begleitet werden, auf den Weg. In der Blutenburg angekommen geht es sofort los. Jetzt wird sich zeigen, ob sich die ca. halbjährige Vorarbeit im BBV gelohnt hat.

Themengruppe 1: Geschichte und Kunst von Schloss Blutenburg
Geschichte: Wir beginnen im Schlosshof und stellen fest, dass es einen oberen älteren und einen unteren neueren Teil gibt. Anhand von alten Bildern erkennen wir, dass ein Arm der Würm lange Zeit noch durch den Schlosshof floss. Den Weg des Wassers durch das   Schloss markieren wir mit langen blauen Kunststoffbändern.
Wir hören viel über den Herzog Sigismund, der im 15. Jahrhundert gelebt hat und die Schlosskapelle erbauen ließ. Er wohnte im Herrenhaus, wollte aber trockenen Fußes in die Kapelle kommen. Deshalb ließ er auf Brückenpfeilern einen Wehrgang über das Wasser bauen, was man heute noch sehen kann.
Dann gehen wir in den oberen Teil des Schlosshofs. Er liegt etwa einen Meter höher als der untere Teil. Wir suchen den zunächst noch nicht sichtbaren vierten Turm, schauen uns die Zisterne an der Südseite an und steigen auf die Mauer, um den sogenannten Durchblick zu sehen, eine Verbindung zwischen den Schlössern Nymphenburg und Blutenburg, über die man früher auch Signale weitergeben konnte.
Jetzt geht’s ins Herrenhaus und wir steigen ins Gewölbe hinunter. Dort war früher die Küche untergebracht. In den ungefähr 6 Meter tiefen alten Brunnen kann man noch hinunterschauen. Eine besondere Attraktion ist die dort aufgestellte Ritterrüstung.
Abschließend steigen wir über die Treppen in den 1. Stock des Hauses hinauf und gehen - wie früher der Herzog Sigis­mund - durch den Turm 1 in den Wehrgang Richtung Schlosskapelle und wieder hinunter in den Schlosshof.   (Dr. Peter Igl, BBV)                                                                                    
Kunst: Dort, gleich unterhalb der letzten Reste der ältesten Sonnenuhr Münchens wohnt der immer hilfsbereite Hausmeister der Blutenburg. Wir klingeln an seiner Haustür und der gute Geist der Blutenburg kommt mit dem Schlüssel - dessen Griff ein Kinderhändchen kaum fassen kann - für die Kapelle heraus. Unter großer Geheim­haltung wird die Alarmanlage ausgeschaltet. Und damit sind wir schon mitten im „Kriminalfall Blutenburger Madonna“. Mit Spannung verfolgen die Kinder die Geschichte vom Diebstahl der Madonna im Jahr 1971 und erfahren - vor der Madonna stehend - wie wertvoll dieses wichtigste Kunstwerk der Kapelle ist. Weil die Alarmanlage abgeschaltet ist, können auch die Flügel des Hauptaltars vorsichtig bewegt werden und auf der Rückseite des rechten Flügels machen die Kinder Bekanntschaft mit Herzog Sigismund, der die Kapelle erbauen ließ und nebenbei auf Burg Grünwald - nicht weit vom jetzigen Tierpark Hellabrunn entfernt - den ersten Münchner Tiergarten hat anlegen lassen.
Natürlich ist das nur der Einstieg für die folgende Schnitzeljagd durch die Kirche. Zum Teil recht versteckt liegende Tierdarstellungen auf zehn Arbeitsblättern sind zu finden. In kleinen Gruppen von je fünf Kindern geht’s an die Jagd und in dem sonst so ruhigen Sakralraum wird es lebendig. Nach einer Viertelstunde hat die erste Gruppe alle Bilder zugeordnet und darf nun die Fundorte erklären: die Predella des Hauptaltars, das Glasgemälde über dem Taufbecken, das Lamm auf dem Buch des Johannes über der Orgelempore. Die Kinder sollen nichts „lernen“ im engeren Sinn. Sie sollen lediglich mit verschiedenen kunstgeschichtlichen Begriffen Bekanntschaft machen. Vor allem sollen sie sich in einer Kirche, in der sie sonst vielleicht dazu angehalten werden, ruhig zu sein, frei bewegen und ihr Kindsein ausleben dürfen. Die strahlenden Kindergesichter gaben eine eindeutige Antwort. (Prof. Dr. Johann Wittmann, BBV)                                                                                   

Themengruppe 2: Internationale Jugendbibliothek (IJB)
Geschichte und Funktion der IJB: In der Ausleihbibliothek stellte sich schnell heraus: Fast alle Kinder aus der Grandlschule waren schon einmal hier und ein paar hatten sogar einen Leihausweis. Trotzdem gab es an diesem Vormittag einiges neu zu entdecken. Als erstes gab es ein kleines Suchspiel: Wie viele Sprachen gibt es eigentlich in der Ausleihbibliothek? Anhand der Fahnen und Schilder versuchten die Kinder alle 22 Sprachen zusammen zu tragen und waren erstaunt, dass es sogar Sprachen wie Rumänisch, Persisch oder Japanisch auszuleihen gibt.
Dann wurde ein Blick in das unterirdische Magazin geworfen, denn die Bücher in der Ausleihbibliothek sind nur ein Teil des Bestandes, der insgesamt 600.000 Bücher in 130 Sprachen umfasst. Begeisterung gab es dort besonders für die beweglichen Bücherregale, die elektrisch oder mit einem altem Drehmechanismus verschoben werden durften.
Die Geschichte der Bibliothek wurde schließlich mit einem Blick auf die Jella-Lepman-Tafel eingeleitet. Erstaunt lauschten die Kinder der spannenden Gründungsgeschichte: Direkt nach dem Krieg hatte Jella Lepman die Idee, mit Kinderbüchern aus verschiedenen Ländern „Brücken zu bauen“ und Frieden zu stiften. Ausgehend von einer Ausstellung, die ab 1946 durch Deutschland reiste, wurde 1949 die Internationale Jugendbibliothek eröffnet. „Lassen sie uns bei den Kindern anfangen, um diese gänzlich verwirrte Welt langsam ins Lot zu bringen. Die Kinder werden den Erwachsenen den Weg zeigen.“ Mit kurzen Zitaten aus Lepmans Buch “Die Kinderbuchbrücke“ bekamen die Kinder einen Einblick in diese - mit ihrer Leitidee immer noch prägende - Anfangszeit der Bibliothek.
In einem gemeinsamen Brainstorming wurde abschließend gesammelt, was für die Kinder Besonderes am Lesen ist. Vor allem die Freiheit der Fantasie wurde dabei von den lesebegeisterten Kindern betont.  (Tanja Leuthe, IJB)                                                                                
Die IJB-Gedenkräume: Die Räume für James Krüss, Michael Ende, Binette Schroeder und Erich Kästner sind in dieser Reihenfolge besucht worden, um die unterschiedlichen Ausstellungs-Präsentationstechniken zu erleben mit den Charakteristika, die die Kinder selbst herausfinden sollten. Namen und Lebensdaten der Autoren spielten nur eine untergeordnete Rolle. Wichtig waren die Werke, die teilweise spontan genannt, teilweise bei der Besichtigung erinnert wurden. Gemein­samkeiten und Unterschiede der Gedenkräume wurden selbstständig erkannt. Ohne Nachfrage wurden Vorlieben geäußert. Interessanterweise kam keiner der Gedenkräume zu kurz. Bei James Krüss wurde die Idee des Leuchtturms genannt, bei Michael Ende der bemalte Schrank und der Spazierstock (!), bei Binette Schroeder natürlich das kleine Theater, bei Erich Kästner waren es die Filmposter und die Gemütlichkeit des Zimmers.
Bei Erich Kästner sprang sofort die Projektphantasie an: Hier kann etwas für den Wettbewerb gestaltet werden. Im Vergleich zu den anderen Gedenkräumen, die alle zeitlich später mit Ausstellungsexperten gestaltet wurden, musste allen auffallen, dass hier Phantasie für mehr kreative Gestaltung gefragt ist. ( Henning Schroedter-Albers, IJB)

Themengruppe 3: Umwelt, Wasser und Natur
Der Tag begann für die 40 Schüler der Umwelt-Gruppe mit einer Geschichte, die der Geist Poldi erzählt hat. Poldi lebt seit ca. 400 Jahren in der Blutenburg. Er konnte viel zum Schloss erzählen: über die Würm, die Linde im Hof, das Schwalbenpärchen im Eingangsportal und über sämtliche anderen Tiere und Pflanzen, die rund um Schloss Blutenburg zu finden sind.
Im Anschluss waren die Kinder in der Umgebung aktiv. Dort haben sie viele bunte Blätter, Blumen, essbare Pilze, Federn sowie große und kleine Stöcke gesammelt. Manche Stöcke waren so groß, dass sie nur gemeinsam getragen werden konnten. Aus all diesen Naturfunden errichteten sie gemeinsam das Schloss Blutenburg: ein herrschaftlich geschmücktes Eingangsportal - natürlich mit dem Schwalbennest, die massiven Mauern um die Linde und die vier Türme. Die Kinder freuten sich besonders über die vielen helfenden Hände und die Statik-Experimente. Die Würm mit Brücke nebenan, die aus dem Würmsee (Starnberger See) kommt, durfte nicht fehlen. Aus viel buntem Laub gestaltet schlängelte sie sich durch die Landschaft. „Es ist so toll, was wir da gebaut haben - das will ich meiner Mama am Nachmittag zeigen.“ „Ich hätte nie gedacht, dass wir das schaffen“, sind nur zwei der vielen begeisterten Aussagen der Kinder. Ja, sie können stolz auf sich sein!
Neben all dem Werkeln und Sammeln gab es auch vieles zu lernen - über die Heilwirkung von Spitzwegerich, der als Pflaster eingesetzt wurde, über Pilze, Vögel, Pflanzenvermehrung, Fische, ja über alles, was Fragen aufwarf und die Kinder interessierte. Nach der Mittagspause gab es noch ein Such- und Fangspiel, bei dem die Beziehungen verschiedener Lebewesen, die es rund um die Blutenburg gibt, erarbeitet wurden. (Alexandra Baumgarten, LBV)
Nach der anstrengenden Projektarbeit versammelten sich die Kinder mit ihren Betreuern um 11.30 Uhr im Zehentstadel, wo es eine Brotzeit gab, um die sich der Elternbeirat der Grandlschule gekümmert hatte. Anschließend kam man noch einmal zu einer etwa einstündigen Nacharbeit zusammen: Die Kinder der Themengruppe 1 gingen in die Schule zurück, die anderen beiden steuerten noch einmal die Blutenburg an bzw. blieben im Zehentstadel.
In dieser Stunde ließ man die Eindrücke noch einmal Revue passieren und überlegte sich, was man in Einzel- oder Gruppenarbeit für den Wettbewerb herstellen könnte, den der BBV ausgeschrieben hatte: Bilder, Collagen, Plakate, Spiele, Modelle, aber auch Quizfragen oder Hörspiele wären möglich. In den folgenden Tagen und Wochen wurden diese Überlegungen noch weitergeführt.