40 Jahre BBV Sommerempfang 2014
Festrede von Staatsminister a.D. Prof. Dr. Kurt Faltlhauser
Sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren, liebe Freunde der Blutenburg,
40 Jahre: so ein rundes Jubiläum ist sicher ein Tag der Freude – aber auch Anstoß zu melancholischer Nachdenklichkeit: Was?! Schon 40 Jahre ist das her! Du musst doch auch ein bisschen älter geworden sein! Und diese Nachdenklichkeit wird verstärkt wenn man an so einem Festtag Weggefährten von damals wieder sieht – etwa den ehemaligen Herausgeber des Nordwestanzeigers, Dieter Schneider, der wie kein anderer Blattmacher das Wiedererblühen der Blutenburg schreibend begleitet hat. Nachdenklichkeit aber auch, weil Freunde wieder vor Augen treten, die heute nicht mehr unter uns sind: Paul Berg, der Bezirksrat; Walter Hagedorn, Susi Roth, Ursula Purzer, Wolfgang Vogelsgesang und Rainer Wolff. Aber: Lassen wir heute die zittrigen Erinnerungsgedanken hinter uns.
Dass wir heute in diesem kulturellen Kleinod ein freudiges Jubiläum erleben können, ist das Ergebnis von fünf wichtigen Bausteinen:
1. Der erste Baustein:Die produktive Kraft des demokratischen Wettbewerbs.
Wenn ich auf die Jahre 1972 bis 1974 zurückblicke, dann erinnere ich an folgende lokalpolitische Konstellation im Obermenzinger Biotop: Da gab es einen eigenen, einen Obermenzinger (nix: „Pasing-Obermenzing“) Bezirksausschuss, in dem nicht nur Vertreter der sogenannten „etablierten“ Parteien saßen, sondern auch parteilose Bürger. Und Vorsitzender war Stadtrat Wolfgang Vogelsgesang, versierter Geschäftsführer seiner CSU-Stadtratsfraktion. Der war aber nicht Parteimitglied in Obermenzing, sondern in Nymphenburg. Das fiel so lange nicht sonderlich auf, solange Bezirksrat Paul Berg die CSU in Obermenzing mit großer Gelassenheit führte. Ab 1972 kam dann aber ein junger, ziemlich ehrgeiziger neuer Vorsitzender, der die Welt verändern und in Obermenzing damit anfangen wollte. Er wollte zudem im Herbst 1973 Landtagskandidat der CSU im Münchner Westen werden – und das wird man nicht ohne nachgewiesenen Aktivitäten. Also hat dieser junge Kerl alle möglichen Themen aufgegriffen oder „gemacht“: Fasanerie-Park drüben in Hartmannshofen - war das erste Thema; Durchblickpark, A 99 und eben auch das Problem der zunehmend verfallenen Blutenburg.
Bei der Blutenburg konnte ich zurückgreifen auf die viel älteren Forderungen von Willi Fries, dem Konzertmeister, der schon immer aus der Blutenburg einen Konzertsaal machen wollte. Also hat der frisch gebackene Ortsvorsitzende schnell eine Vereinssatzung zusammengeschrieben und zur Vereinsgründung in den Keller des Grünen Baumes eingeladen. Vogelsgesang war nicht eingeladen – denn er war ja nicht von hier. Das war 1973! Vorsitzender wurde Walter Hagedorn. Wolfgang Vogelsgesang maulte, protestierte, - aber zunächst ohne Erfolg. Erst, als sich herausstellte, dass Hagedorn, ein älterer Herr, die Satzung nur verwaltete und keinerlei Initiativen oder Ideen vorbrachte, haben wir für den 5. Oktober 1974 erneut zu einer Gründungsveranstaltung eingeladen. Und, da wurde dann Stadtrat Vogelsgesang Vorsitzender. Mit meiner vollen Unterstützung. Eine – sehr ernst gemeinte – grundsätzliche Anmerkung hierzu: Vielfach werden Politiker von Medien und Bürgern als „profilierungssüchtig“ kritisiert. Natürlich gibt es oft peinliches Drehen um die eigene Person, aber das Bemühen, mit Themen Projekte sichtbar werden zu lassen – das ist die Essenz des demokratischen Wettbewerbs. Ohne diesen Wettbewerb gäbe es z. B. hier im Münchner Westen keinen Durchblickpark, keine A 99/Westspange oder kein Allacher Vereinsheim. Ich vermisse bei manchen jungen Politikern das massive Drängen, etwas gestalten zu wollen, das „issue-making“.
2. Der zweite Baustein: Eine krasse administrative Fehleinschätzung.
Bald nach seiner Wahl zum Vorsitzenden des Blutenburg-vereins präsentierte Vogelsgesang seinen Nutzungsvorschlag, für die Blutenburg: die Internationale Jugendbibliothek sollte ins Schloss einziehen. Den Anstoß hierzu hat ihm nach meiner Erinnerung nicht der Umstand alleine gegeben, dass er in dieser Bibliothek bereits Vorsitzender des Aufsichtsrates/Verwaltungsrates war, sondern eine Art Räumungsbefehl. Hinter der stolzen Fassade der Staatsbibliothek an der Ludwigstraße hatte Architekt Sepp Ruf den wunderbaren Lesesaal der Bibliothek gebaut. Wenige Meter von der Glasfassade dieses Baues stand ein älteres Gebäude – in diesem war die Jugendbibliothek untergebracht. Ein wunderbarer Fall für die Brandschützer! Sie gutachterten, dass dieser Bau schnellstmöglich abzureißen sei, um für alle Fälle einen brennenden neuen Lesesaal löschen zu können. Die Jugendbibliothek suchte also dringend nach einem Standort. Wolfgang Vogelsgesang wusste einen: im Münchner Westen. Er war der Vater der Idee, die Jugendbibliothek in die Blutenburg zu verlegen – der Brandschutz in Schwabing war der Geburtshelfer. Gehen Sie heute den Fußweg von der Ludwigstraße zur Kaulbachstraße auf der Höhe des Rechnungshofes: Dort können Sie sehen, dass es das alte Gebäude immer noch gibt. Niemand hat den Bau eingerissen. So heiß war die Sache der Brandschützer also nicht.
Die Jugendbibliotheks-Idee war aus mehreren Gründen großartig: In historisch altes Gemäuer die gedruckten Geschichten für Kinder und Jugendliche zu pflanzen, ist wie der blühende Strauch, der aus der Mauer wächst. Nicht zuletzt ist die Institution Jugendbibliothek aus finanziellen Gründen ideal für dieses Schloss gewesen: Sie hatte nämlich drei Grundfinanziers: Den Freistaat Bayern, der sowohl als Schlossherr für das denkmalgeschützte Ensemble und als auch als Hausherr (Schlösserverwaltung) aufkommen musste. Den Bund, der über das finanzielle Beiboot „Jugendmarke“ mitwirken konnte und die Stadt München.
Ich sage Ihnen: Wer drei Finanziers hat, schläft ruhiger. Später kam ja auch noch der Verein der Freunde als vierter privater Finanzier mit erheblichen Beträgen hinzu.
3. Der dritte Baustein: Der unbedingte Wille eines Mannes, sein Projekt zu realisieren.
Der entscheidende Baustein, warum wir heute in einer großartig renovierten Blutenburg stehen dürfen, ist die Zeit, die Kraft, die unbeirrbare Penetranz, die Umsicht und die Begeisterung, die Wolfgang Vogelsgesang in dieses Projekt investiert hat. Ohne Rücksicht auf immer neue Schwierigkeiten, ohne Rücksicht auf seine Gesundheit, hat er für „sein Werk“ gearbeitet. „Burg-Vogt“: den Namen hat ihm die Öffentlichkeit zu Recht gegeben. So etwas habe ich in meinem politischen Leben – 34 Jahre Parlamentarier in Bonn und München – ganz selten erlebt, dass einer so viel Herzblut gibt, um seine Idee Wirklichkeit werden zu lassen. Und deshalb ist es angemessen und richtig, dass in diesem Schloss eine Dank- und Gedenktafel für Wolfgang Vogelsgesang angebracht wurde. Das sagt heute derjenige, der vor 41 Jahren den Stadtrat zum ersten Vereins-Anlauf nicht eingeladen hat ...
4. Der vierte Baustein:Die Innovationskraft einer Frau.
Die beste Idee kann scheitern an unüberwindbaren Hindernissen. So schien es auch in der Planungsphase mit der Jugendbibliothek in dieser Burg. Für die Planung war der große Architekt Schnierle verantwortlich. Aber selbst er lieferte für die Frage: „Wohin mit den vielen Büchern?“ nur schwache Antworten. Alle Räumlichkeiten sollten zunächst mit Büchern vollgestellt werden: Der heutige Jela-Lepmann-Saal, die Laufgänge, das Herrenhaus – für die Idee des Blutenburg-vereins, das Schloss auch für kulturelle Zwecke zu nutzen, wäre nicht viel Platz geblieben. Aber Gott sei Dank gibt es für ausweglose Situationen die Frau! Die Ehefrau von Schnierle, selbst auch Architektin, kam auf die Idee, den Innenhof, in dem wir heute feiern, zu unterkellern für das Magazin. Korrigiert wurde auch diese geniale Idee: der damalige Vorsitzende der JU in Obermenzing, Andreas Ellmaier, organisierte eine Unterschriften-Aktion, um die vorgesehene Fällung der Linde, inmitten des Schlosshofes – eine „Friedenslinde“ aus dem Jahr 1871 – nicht zu fällen. Umplanungen waren damals nötig und so beherrscht dieser Baum heute noch den Innenhof unserer Blutenburg.
5. Der fünfte Baustein: Ausdauer, soziale und kulturelle Verantwortung von Bürgern.
Der Blutenburgverein besteht nun 40 Jahre, 15 Jahre unter der souveränen und umsichtigen Führung von Andreas Ellmaier. Mit ihm und neben ihm wirken mit großer Ausdauer Männer, die nicht nach der Zeit und nicht nach dem Lohn fragen, sondern die in gesellschaftlicher Verantwortung sich einem Projekt verpflichtet fühlen. An der Spitze dieser Marathon-Läufer stehen neben Ellmaier, Erwin Lohner, Willi Fries, Johannes Wimmer, Johannes Wittmann. Allen nicht nur mein herzlicher Dank, sondern den Dank allen, die den Ort hier lieben und den Verein schätzen.
So lange es solche Vereine gibt, so lange es Menschen gibt, die sich in diesen Vereinen ein halbes Leben lang engagieren, so lange ist unsere Gesellschaft kraftvoll, lebendig und zukunftsfähig.